Dr. phil. Wolfgang Baumann
ANTIQUITÄTEN UND KUNSTHANDLUNG
gegr. 1909
Die antikisierend elegant geformte „königliche“ Bergère in Kirschbaum steht auf nach
unten verjüngten Vierkantbeinen, die vorne gerade und hinten leicht nach außen geschweift sind. Diese werden
von der furnierten Zarge überschnitten, die vorne gerade, an den Seiten und an der Rückseite in einem
durchgehenden Halbkreis verläuft. Letzterer ist aus mehrschichtigem Nadelholz gebaut. Die Armlehnen rollen
sich vorne volutenförmig ein. Sonst war das Möbel weitgehend überpolstert und ist ein Prototyp des
modernen bequemen Polstersessels.
Laut Inventaretiketten stammt das Sitzmöbel aus der Münchner Residenz und vertritt die Stilstufe des
frühen aristokratischen Biedermeiers in Bayern. Die für die Münchner Residenz bisher einzigartige
Bergère gehörte ursprünglich zu einer Garnitur von sechs gleich gestalteten Sitzmöbeln. Der
Entwurf und die schreinerische Ausführung entsprechen höchsten Ansprüchen und sind der
Hofschreinerwerkstatt Daniel um 1810 zuzuschreiben.
Die Bergère gehörte zu einem Satz von sechs Exemplaren, der mit den Inv.
Nummern XIII.21. 240 ´1. bis ´6 versehen war. Unsere Bergère trägt die
Nummer ´5. Der Inventarisator folgte dabei der Nummerierung des Schreiners an der Oberkante der vorderen
Zarge, der mit dem Stemmeisen eingeschlagenen römischen Zahl „V“. Der lose
Sitzpolsterrahmen wurde übrigens später vertauscht und trägt die römische
Zahl „VI“, gehörte demnach zur sechsten Bergère.
Laut Forschungen von Dr. Henriette Graf stand das Möbel - "6 Sessel in Kirschholz (Nr. 150-55), Kanapee ..." 1874 im nordwestlichen Eckbereich der Residenz in der Wohnungen eines Herrn Täufenbach, über den biographisch nichts bekannt ist. Da die "Täufenbach-Wohnung" auf dem gleichen Stockwerk wie das Appartement von König Maximilian II. von Bayern sich befinden, handelt es sich um eine dem König nahestehende Person bzw. Bediensteten. (Dr. Henriette Graf, 8. Juli 2003)
Restaurierung
Die moderne Schaumstoff-Polsterung der 70 Jahre, die auch die Inventaretiketten brutal geschädigt hat, wurde
entfernt. Das Möbel war damals mit einer Kunstharzpolitur traktiert worden, die ebenfalls entfernt worden ist.
Ältere lieblose Reparaturen von Furnierausbrüchen an der unteren Zarge wurden mit farblich und strukturell
besser passenden Furnieren ersetzt. Eine an der oberen Zarge der Rückenlehne hinten angeleimte Stableiste
aus Nußbaumholz (!) war eine spätere Zutat und wurde entfernt. Die links und rechts fehlenden
Furnierstücke wurden ergänzt.
Vergleichsbeispiel
Der antikisierenden Formgebung vergleichbar ist ein kleinerer Stuhl ohne Armlehnen vom Typus en gondole, der
als Schreibtischstuhl der Königin Karoline in Schloß Nymphenburg gedient hat. Der Benutzerin angemessen
ist das Sitzmöbel aufwendig furniert und intarsiert. Es wurde 1809/13 gefertigt und wird der Hofwerkstatt Daniel
zugeschrieben. Die Konstruktion des separaten Polsterrahmens aus Nadelholz, der durch zwei Klötzchen mit der
Zarge verspreizt wird, ist ebenfalls mit der Bergère vergleichbar (siehe Brigitte Langer: Die Möbel der
Schlösser Nymphenburg und Schleißheim. München, London, New York 2000, S. 242 f.).
In der Konstruktion vergleichbar ist zudem ein Fauteuil en gondole, der ebenfalls der Hofschreinerwerkstatt Daniel
zugeordnet wird (Ebd. S. 264f.).
Vergleichbar in ihrer Gondelform und Gestellsichtigkeit sind zwei Sessel ohne Armlehnen aus dem Appartement von
Prinz Karl in Schloß Nymphenburg (Ebd. S. 267).
Würdigung
Die „königliche“ Bergère en gondole ist ein in der Biedermeierzeit extrem seltener
Sitzmöbeltypus. Sie verbindet antikes Design mit höchster Bequemlichkeit und ist somit im Gegensatz
zum repräsentativen Empire ein typisches Beispiel für die Möbelkunst des „privaten“
Biedermeier.