Ein Glanzstück süddeutscher Renaissancekultur

Silberlöffel von Meister Petter Praunsmenl, Regensburg um 1580, nach einem Modell wohl von Peter Opel in Regensburg

Vorderseite große Darstellung Silber gegossen, getrieben und graviert. BZ: Regensburg. - MZ: „PB" (letzter Buchstabe ist ein B) = Petter Praunsmenl (Braunsmändl).
Sammlungsnummer von Eugen Felix (?) oder Richard Zschille eingeritzt: 710 im Kreis. - Länge 16,2 cm. Breite der Laffe 5,3 cm; 46 Gramm.

Petter Praunsmenl
(tätig zwischen 1571-1607)
Regensburg um 1580
schöne originale Silberoberfläche

Die Außenwölbung der Laffe ist am Stielansatz und an den Rändern lilienförmig ornamental graviert.
Rückseite große Darstellung

"Gefangenes Wesen"

Die weibliche Figur wird von Beschlagwerk eingebunden. Diese "gefangenen Wesen" (Irmscher s.u., S. 207) sind kennzeichnend für die niederländische Grotteske. Niederländer wie C. Bos entwarfen ornamentale Vorlageblätter, die antike Grottesken bzw. antikisierende Ornamente mit dem niederländischen Beschlagwerk kombinieren.

"gefangenes Wesen"

diademgekrönte Venus - die Göttin der Liebe

Provenienz: Der berühmte Regensburger Silberfund von 1869

Sammlung Eugen Felix, Leipzig

Bestecksammlungen Paul und Zschille

Silberschmiedemeister Petter Praunsmenl aus Salzburg

Vergleichsbeispiel - ein Schweizer Silberlöffel um 1650

Würdigung und Zusammenfassung
Kupferstich große Darstellung Das Detail aus einem Kupferstich, der von Bos 1550 geschaffen worden ist, zeigt eine weibliche Terme umgeben von räumlich stark ausschwingendem Lattenwerk - der kunsthistorisch eingeführte Begriff Beschlagwerk ist eine Fehlinterpretation des 19. Jh. - . Gefangene Wesen gehörten auch zum ornamentalen Formenrepertoire des Salzburger Malers Melchior Bocksberger, der ab 1573 in Regensburg tätig war und hier 1587 gestorben ist.




Kupferstich Bos, 1550

"Diademgekrönte Venus - die Göttin der Liebe"

Diademgekrönte Venus große Darstellung Der Löffel vereinigt das antikisierende Ornament des Mischwesens - Italien - mit dem niederländischen Beschlagwerk. Was man um 1530 unter antikisierend verstand, zeigt ein Blatt von A. Veneziano. Aus zwei Akanthusranken wächst eine weibliche Halbfigur mit Diadem empor. Die Taube und die geflügelten Eroten ordnen die nackte Schöne der Venus zu, die Amor (?) und Cupido (?) an den Ohren zieht.

Der Löffel wurde wohl nicht mehr in die Faust genommen, sondern modern elegant zwischen Daumen und Zeigefinger zum Mund geführt. Die barbusige Dame war dabei genüßlich zu sehen. Der humanistisch gebildete Benutzer konnte dabei an Venus erinnert werden und an das lateinische Zitat des Komödiendichters Terenz "Sine Baccho et Cerere friget Venere" - Ohne die Gaben des Bacchus und der Ceres friert die Liebe. Aus einem Gebrauchsgegenstand wurde Tafelkultur.

Provenienz: Der berühmte Regensburger Silberfund von 1869

Silberfund Beim Abbruch des historischen Gebäudes Watmarkt 2 (Lit. Nr. F 6) in Regensburg wurde 1869 - in der Epoche des Historismus ! - in einem Treppenkasten eine Truhe voll von Silbergegenständen aus der Zeit vor und um 1600 gefunden.

Das Haus muß einstmals eine aufwändige Fassadenmalerei in Blau besessen haben; Blau war das teuerste Pigment für eine Fassadenfassung. Es hieß „Haus zum blauen Teiffel“.

Die Leipziger Zeitung berichtete ausführlich über den sensationellen Regensburger Silberfund. Mit zwei großformatigen Holzstichen, die nach den Originalphotographien des Regensburger Photographen P. Schindler angefertigt worden waren, wurden die Silberstücke publiziert. Dem Bericht zufolge "kamen in einer hölzernen Kiste unter der Treppe viele Silbergeschirre der Renaissance zum Vorschein ... Was die Gegenstände besonders werthvoll erscheinen läßt, ist deren seltene Conservierung, denn sie sehen aus, als ob sie erst die Werkstätte des Verfertigers verlassen hätten."

Der Schwiegersohn des Finders erzählte, dass diese gefundene Holzkiste derart "mit Goldschmiedewerk und Urkunden angefüllt war, dass zwei herbeigerufene Goldschmiede später nicht mehr imstande waren, die Sachen wieder alle hineinzubringen." Der Schatz war in der Truhe sehr sorgfältig verpackt: „... so war doch alles, sogar das Papier in welches die einzelnen Stücke eingewickelt, so gut erhalten, als ob seit dem Schließen der Kiste erst einige Tage vergangen wären."


Eine Urkunde von 1628 in der Holzkiste belegte den Kauf des Hauses durch Georg Hoffmann. Er hat seine Urkunden und seinen silbernen Hausschatz in der Kiste versteckt.

Der Schatz war vor drohenden Plünderungen in Sicherheit gebracht worden, die nach dem Sieg der Schweden bei Breitenfeld am17. September 1631 zu erwarten waren. Regensburgs Lage an der Donaulinie erlangte nun zur Verteidigung Bayerns, Böhmens und Wiens eine strategische Bedeutung. Bis zum 19. April 1632 waren in Regensburg 1500 bayerische Soldaten einquartiert worden, die der Kurfürst Maximilian I. bis zum 27. April um weitere Soldaten verstärken ließ.. „Die bayerischen Soldaten wurden durch Übergriffe, Plünderungen und Verwüstungen zu einer Plage in der Stadt.“ (Peter SCHMID, Geschichte der Stadt Regensburg, Bd. 1, Regensburg 2000,  S. 88.) 1633 rückten schwedische Truppen auf Regensburg vor. Im November ergab sich der bayerische Kommandant und erreichte den Abzug seiner Truppen. Die Regensburger begrüßten die Schweden als Befreier. Am 26. Juli 1634 schloss König Ferdinand von Ungarn mit Bernhard von Weimar, dem Kommandanten der schwedischen Besatzung, einen Akkord, wonach nur kaiserliche Truppen in Regensburg als neue Besatzung einmarschieren dürften. Diese kaiserliche Garnison blieb bis 1651. Nun war der versteckte Schatz wohl in Vergessenheit geraten; sein letzter Besitzer vielleicht auch verstorben.

Aus welchen Gründen auch immer kam Georg Hoffmann nicht mehr dazu, seinen Silberschatz aus dem Versteck zu holen.

Ein gedrucktes Verzeichnis erschien bei Pustet. Das Manuskript dazu befindet sich im Archiv des historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg:

Unter den 66 Löffeln des Fundes waren 19 Löffel mit dem Regensburger Beschauzeichen versehen. Unser Löffel mit der Terme gehörte zu dem schönsten Löffelsatz des Fundes. Er bestand aus sechs Löffel, die in dem Fundverzeichnis unter der Position 23/24 zusammen mit einem weiteren Satz von sechs Löffeln so beschrieben werden:

21/22 zwei halbe duzend silberne Löffel ohne Ornamentik.

23/24 zwei dergl.<eichen> mit zierlicher Handhabe und stellenweise Gravierungen. Zeit: II. Hälfte des 16. Jahrh.: das Gepräge ist das Regensburger Wappen.

Sammlung Eugen Felix, Leipzig

Der Leipziger Kunstsammler Eugen Felix hat in Regensburg den sensationellen „Regensburger Silberfund" von 1868 in seiner Gesamtheit dem Nadelfabrikanten Erich für 4600 Taler abgekauft. Der reine Materialwert war von den Goldschmieden auf 2000 Taler berechnet worden.

Im Auktionshaus Lempertz in Köln wurde die Sammlung Eugen Felix 1886 versteigert, darunter auch der Regensburger Silberfund. Nun wurde das einmalige Ensemble in die ganze Welt verstreut. Seit 1911 befindet sich ein Doppelpokal des Regensburger Goldschmiedemeisters Simon Pissinger von 1580/90 im Metropolitan Museum of Art in New York. Der Regensburger Museumsdirektor Dr. Martin Angerer hat das Stück vom Regensburger Silberfund dort wiederentdeckt.

Unser Löffel ist bisher das einzige Stück des Silberfundes, das sich nun wieder in Regensburg befindet.

Die Bestecksammlungen Johannes Paul, Hamburg und Richard Zschille, Grossenhain

Unser Löffel war 1886 in Köln nicht versteigert worden. Eugen Felix, der ja sechs Stück von den Regensburger Silberlöffeln besaß, hatte einen Löffel an den berühmten Hamburger Sammler Johannes Paul (Sammlungsnummer 1313) abgegeben. Dessen Sammlung ist bereits 1882 in Köln versteigert worden. Wohl dort erwarb den Löffel der sächsiches Tuchfabrikant und leidenschaftliche Kunstsammler Richard Zschille in Grossenhain (1847-1903). Er hatte ein sehr originelles Sammelgebiet, das der Kunsthistoriker Arthur Pabst 1893 vorbildlich publiziert hat. Unser Löffel ist dort zu finden: "Die Kunstsammlungen Richard Zschille in Grossenhain, II. Besteck-Sammlung, Speise- Tisch- Gärtner- Geräte und Werkzeuge", Katalognummer 272, Abb. Tafel 39. Der Band erschien in zweiter Auflage in Berlin 1893. Pabst war Assitent am Berliner Kunstgewerbemuseum und später Direktor des Kölner Kunstgewerbemuseums (freundlicher Hinweis von Ernst-Ludwig Richter, August 2009)

Rosenberg zitiert einen der Regensburger Termenlöffel mit der Provenienzangabe Eugen Felix.

Der Regensburger Goldschmiedemeister Petter Praunsmenl aus Salzburg

Ein "Peter Praussmandl" wird in der Meisterliste der Salzburger Goldschmiede von Franz Wagner angeführt. Der Sohn eines Salzburger Bürgers wurde 1563 in Salzburg Meister und ist bis 1569 in Salzburg nachweisbar (Wagner Nr. 172). Er muß mit unserem Peter Praunsmendl identisch sein. Im Verzeichnis der Regensburger Goldschmiede befindet sich folgender Eintrag:

Petter Praunsmenl / 1571 d(ie) 30. September Bürger Pflicht gethan / gebürthig von Salzburg,/ Ist gestorben A(nno) 1607 den 8 Marty.

Nach Hupp wurde „Peter Praunsmändl" aus Salzburg 1572 in Regensburg Meister. Dies ist nicht korrekt, da Praunsmändel bereits in Salzburg Goldschmiedemeister war.

Die Goldschmiedefamilie besaß an urbanistisch prominenter Stelle am Kohlenmarkt Ecke Unter Bachgasse ihr Anwesen, das Haus Unter Bachgasse 1. Der heutige Historismusbau entstand nach einem Brand 1891. An der Fassade zur Bachgasse ist vom Vorgängerbau ein Wappenstein des Goldschmiedemeisters Johann Adam Praunsmändel von 1699 erhalten. Ein Kupferstich von Engelbrecht 1731 in Augsburg verlegt zeigt den Kohlenmarkt mit dem Rathausplatz und ist mit einer zweisprachigen Legende in Latein und Deutsch versehen. Links ist mit „3“ des “Herrn Brauns Mändlische Behausung” bezeichnet. Im Erdgeschoss ist der Laden des Goldschmiedes zu sehen.

Vergleichsbeispiel - ein Schweizer Silberlöffel um 1650
Schweizer Silberlöffel große Darstellung Die bedeutende Bestecksammlung Klaus Marquardt besitzt einen etwas jüngeren Silberlöffel mit einer Termendame, die auf das gleiche Modell wie bei unserem Löffel zurückzuführen ist. Ein unbekannter Goldschmied in der Stadt Chur vewendete für den Guß des Löffelstielendes nicht nur das gleiche Modell wie gute 50 Jahre früher Praunsmenl in Regensburg, er gestaltete seine Gravuren an der Rückseite der Laffe sehr ähnlich dem Regensburger Löffel; lediglich etwas reicher. Der nahezu gleich große Churer Silberlöffel (Länge 16,3 cm) ist publiziert in dem Ausstellungskatalog des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg: Klaus Marquardt, Europäisches Eßbesteck aus acht Jahrhunderten. Eine Kunstsammlung. Stuttgart 1997, FAbb. S. 96, Kat.Nr. 276. An dem Schweizer Löffel wird beschrieben, daß die Brüste der "Herme" zugleich die "Glotzaugen einer Maske" bilden sollen. Dies ist bei dem Regensburger Löffel nicht nachvollziehbar.

Der Regensburger Löffel ist in seiner mittelalterlichen Formentradition eindeutig älter als der Schweizer Löffel, dessen Verbingung von Griff und Laffe mit einem modernen " Rattenschwanz" erfolgt.

Würdigung und Zusammenfassung

Die Geschichte des Regensburger Renaissancelöffels als Bestandteil des berühmten Regensburger Silberfundes ist einzigartig rekonstruierbar.

Ornamentgeschichtlich ist die diademgekrönte Venus, die in Lattenwerk eingebunden ist, eine Komposition aus italienisch antikisierendem Ornament und niederländischem Beschlagwerk.
Kunsthistorisch ist der Löffel ein Beispiel für die angewandte Grotteske, für eine Ornamentform, die ihre Wurzeln in der römischen Antike, der domus aurea in Rom, hat. Praunsmenl und der in Regensburg gleichzeitig – von 1573 bis zu seinem Tod 1587 - tätige Salzburger Maler Melchior Bocksberger pflegten die Grotteske.



Die aufwändige, fein geschnittene Patrize für die Termenfigur hat mit großer Wahrscheinlichkeit der Regensburger Kupferstecher, Gewehrschäfter und Holzschneider Peter Opel (nachweisbar seit 1549, gest. 1619) gefertigt. Eine stilistisch vergleichbare Kredenzschale von Opel in Buchsbaumholz, monogrammiert „PO“ und datiert 1612 diente wohl als Goldschmiedemodell. Die 18 cm hohe Schale befindet sich in den Staatlichen Museen Berlin, Kunstgewerbemuseum Inv.Nr. K 3058 und ist publiziert in: Ausstellungskatalog Bayerisches Nationalmuseum München (Hg.), MODELL UND AUSFÜHRUNG in der Metallkunst, München 1989, Bildführer Nr. 15, München 1989, Kat.Nr. 16.



Die reiche plastisch ornamentale Auszeichnung des verlängerten Löffelstiles zeigt einen kulturgeschichtlichen Wandel im "Löffeln" an. Der Löffel ist ja das älteste ausschließlich zum Essen verwendete Werkzeug. Die Regensburger Oberschicht der Renaissance lehnte das mittelalterliche Löffeln mit dem Löffel in der Faust ab. Wie heute führte man in Regensburg wohl bereits um 1580 den Löffel mit Daumen und Zeigefinger zum Mund: "Willst du Suppe essen, dann wie ein Mönch mit dem Löffel und nicht so laut wie ein Kalb, sondern still wie eine Jungfrau." (niederdeutsche Schrift des 16. Jh.)

Dass ein in Salzburg gebürtiger Silberschmied diese verfeinerte italienische Tischkultur nach Regensburg translozierte, zeigt die Vermittlerrolle und die kunst- und kulturgeschichtliche Spitzenposition Salzburgs um 1600.

Der in seiner originalen Oberfläche exzellent erhaltene Löffel ist ein Glanzstück italienisch geprägter süddeutscher Renaissancekultur. Ein Nachkomme von Petter Praunsmenl lebt heute in Regensburg. Einen Grabstein der Familie aus dem 18. Jahrhundert besitzt das Historische Museum Regensburg.


Archivalie im Stadtarchiv Regensburg: „Verzeichnis eines Erbarn Handtwerckhs der Goltschmit“, fol. 6r
Lit.: Leipziger Illustrierte Zeitung, 1. Mai 1869; Arthur PABST: Die Kunstsammlungen Richard Zschille in Grossenhain, Speise-, Tisch-, Gärtner-, Geräte- und Werkzeuge. 2. Aufl., Berlin 1893, Katalognummer 272, Abb. Tafel 39.; Marc ROSENBERG: Der Goldschmiede Merkzeichen, Bd. 3, 3. Aufl., Frankfurt/Main 1925, Nr. 4449; Günter IRMSCHER: Kleine Kunstgeschichte des europäischen Ornaments seit der Neuzeit (1400-1900). Darmstadt 1984. Franz WAGNER: Die Salzburger Goldschmiede von 1440 bis 1803 und ihre Werke. In: Johannes Neuhardt (Hg.), Gold und Silber: Kostbarkeiten aus Salzburg. Meisterliste und Katalog der IX. Sonderausstellung des Dommuseums zu Salzburg. Salzburg 1984, S. 47-72. - zum Regensburger Silberfund siehe Otto HUPP: Kunstschätze des Regensburger Rathauses. In: Das Rathaus zu Regensburg. Regensburg 1910, S. 146-148. - Karl BAUER: Regensburg, Kunst-, Kultur- und Alltagsgeschichte, Regensburg 1997, S. 78.Achim HUBEL, Verlorene Kostbarkeiten, Die Abwanderung von Kunstwerken aus Regensburg seit 1810, in: Regensburger Almanach 1980, Regensburg 1979, S. 26
zum Forschungsstand Regensburger Goldschmiedearbeiten: Martin ANGERER, Goldschmiedekunst deutscher Städte – Regensburg, in: AK Schätze Deutscher Goldschmiedekunst, Nürnberg 1992, S. 140-142.
Für die Einsicht in das Verzeichnis der Regensburger Goldschmiede danke ich Herrn Dr. Angerer, Historisches Museum Regensburg.