Dr. phil. Wolfgang Baumann
ANTIQUITÄTEN UND KUNSTHANDLUNG
gegr. 1909


Bedeutender Rokokosekretär mit exzellenter Patina der Oberflächen,
Frankfurt am Main,
um 1760/70

Nussbaum massiv (Stollenkonstruktion) und Nussbaum sowie Nussbaummaser auf Nadelholz und Eiche (konstruktiv wichtige Partien) furniert, Intarsien in Mooreiche flankiert von Ahornadern, reiche ornamentale Intarsien in Ahorn und Birnbaum (?) mit feinsten Originalgravuren in Schwarz und Rot (!) gefärbt, schöne Patina der Oberflächen, originale Schlösser, im Inneren alte Tapeten aus mindestens drei verschiedenen Epochen, reiche Collagen im Tabernakel und Pultbereich, sowie Fassungen in Hellgrün, Altrosa und Weiß, Beschläge bis auf vier originale gedrehte Messingknöpfe ergänzt, alte Inventarnummer in schwarzer Farbe "W No. 19."

Höhe 202,2 cm; Breite 135,2 cm; Tiefe 71,3 cm. Preis auf Anfrage; Das Bild ist zu gelbstichig. Die Farbe entspricht eher dem unteren Deatailbild.

Auf einem Kommoden-Unterbau mit drei Schubläden liegt der Pultteil mit schräger Klappe. Der oben gebrochen geschweifte Aufsatz weist 10 Schubläden auf, welche die zentrale Tabernakeltüre flankieren. Das dreiteilige Möbel besitzt insgesamt 21 Schubläden.
Der an der Front armbrustförmig geschweifte Unterbau mit karniesförmig geschweiften Seiten steht auf Nussbaumstollen. Der linke hintere Stollen ist im unteren Viertel erneuert. Die massiven Nussholzteile sind an der Unter- und Innenseite mit dem Zahnhobel sauber geglättet. Die drei geschweiften Schubläden besitzen die originalen eintourigen Kastenschlösser mit je zwei originalen handgefertigten Rundkopf-Eisenschrauben und sind innen mit Marmorpapier der Entstehungszeit des Möbels, ausgekleidet. Fehlstellen wurden mit annähernd passenden alten Papieren ergänzt.
Der Pultteil besitzt seitliche Wangen, für die als Blindholz Eichenholz verwendet worden ist. Im Pultinneren befinden sich vier kleine Schubläden, deren Vorderstücke mit Nussbaum auf Eiche furniert sind. Sie besitzen noch die originalen gedrehten Zugknöpfe, die als Vorbild für die mühevolle Rekonstruktion der verlorenen Beschläge dienten. Die Buntpapiere gehören hier wohl größtenteils der Zeit um 1900 an.

Der Aufsatz zeigt ein gebrochen geschweiftes, präzise profiliertes Kranzgesims aus einem Stück massivem Nussbaumholz. Eine zentrale Türe wird von je fünf Schubläden flankiert, die durch eine Zentralverriegelung aus Buchenholz zu versperren sind. Jede Schublade ist anders mit Buntpapieren ausgekleidet. Der Tabernakel besitzt im Inneren unten ein Fach und darüber in zwei Reihen je vierfach unterteilte Brieffächer. Darin stecken vier flache Schubläden aus Nussbaumholz, deren Böden untereinander gespiegelt ausgeführt sind – handwerkliche Perfektion.

Collagen zeigen die antike Götterwelt
Im Tabernakel und im Pultbereich konnten Collagen aus Buntpapieren, geschnittenen Papierstreifen und Kupferstichen freigelegt werden. Boden und Fach sind an der Oberseite mit bläulich geädertem Marmorpapier mit Randzone aus braunem Papier beklebt, als wolle man einen inkrustierten Marmorfußboden nachahmen. Wie überhaupt die Auskleidung des Tabernakels dem Prinzip der klassizistischen Raumausstattung um 1800 folgt.
Im oberen Fach des Tabernakels zeigt die Collage an der Rückwand zwei kreisrunde Kupferstich-Medaillons: Das linke Medaillon ist wohl als Herkules, der mit einer Schlange kämpft, zu deuten. Das rechte Medaillon zeigt den schönen Knaben Ganymed, der von Zeus in Gestalt eines Adlers auf den Olymp entführt wird. Die Bordürenstreifen links und rechts sind mit je zwei ovalen Kupferstichmedaillons beklebt: Das Medaillon links oben führt das Standbild der Athene vor Augen; darunter ist die Göttin der Jagd Artemis (lat. Diana) abgebildet. Rechts sind oben die Göttin Aphrodite (Venus) und darunter Hera (Juno), die Gemahlin des Zeus, zu erkennen.
Das untere niedrige Fach des Tabernakels zeigt mythologische Wesen von niedrigem Rang – der ordo humilis. Pan und Mänaden bevölkern die Zone. In der Mitte ist eine klassizistisch gerahmte Ideallandschaft aufgeklebt. An der linken Seitenwand ist eine badende Schöne zu erspähen, an der rechten Seitenwand ein Jüngling.
Im Pultteil ziert die Rückwand in der Mitte einen Kupferstich mit einer Landschaft, die von Rundmedaillons mit Darstellungen von Hasen sowie einer Henne mit Kücken flankiert wird. Letzteres sind Anspielungen auf Kindersegen und die Liebe. Die Henne mit Kücken wird als Symbol für „mütterliche Liebe, für Schutz und Geborgenheit und für friedliches Zusammenleben gedeutet. Die Inschrift über der Gluckhenne auf der Rückseite einer 1645 datierten Liebesmedaille von Johann Blum (Bremen, 1631-1650) lautet: „ein gluckhenn liebt ihr küchlin sehr, ich lieb mein liebste noch viel mehr.“
An den Seiten zeigen die Rundbilder je ein Vogelpaar. Der Boden im Pultbereich wurde nach Befund mit einem passend eingefärbten, hellgrünen Buntpapier umgeben von einer hellgrauen Bordüre rekonstruiert. Die Schreibfläche der Klappe dokumentiert mit den Gebrauchsspuren, Tintenflecken und Siegelwachsresten, die Benutzung des Möbels.

Bestimmung des Möbels für einen Raum mit Lambrie
An der Rückseite ist der Kommodenteil nach vorne versetzt, damit hier die Lambrie oder vorspringende Sockelzone einer Wandverkleidung Platz hat und die Oberteile des Möbels sehr nahe an die Wand geschoben werden können. Dies weist darauf hin, dass das Möbel für einen anspruchsvoll gestalteten Barockraum wohl mit Wandbespannung über einer Lamberie bestimmt war. Da Möbel im bürgerlichen Bereich selten inventarisiert worden sind und unser Möbel eine alte Inventarnummer aufweist, ist die Herkunft aus Adelsbesitz höchst wahrscheinlich.

Zur Lokalisierung des Möbels "a francfurt"
Das Möbel mit seiner profilierten Stollenkonstruktion ist sehr gut vergleichbar mit einem bedeutenden Schreibsekretär der Fürsten von Thurn und Taxis aus dem Frankfurter Palais des Fürstenhauses. Dieses Möbel besitzt vergoldete Silberbeschläge, die durch die Goldschmiedezeichen nach Frankfurt lokalisiert und in den Zeitraum von 1763 bis 1770 datiert werden können.
Beide identisch proportionierten Möbel gehören zu einer „Möbelfamilie; vielleicht kommen sie aus derselben Werkstatt. Sie unterscheiden sich lediglich durch den Unterbau. Der Thurn und Taxis-Sekretär (Höhe 195 cm; Breite 140 cm; Tiefe 70 cm) besitzt einen Fußraum flankiert von je drei Schubläden. Unser Sekretär besteht aus einem Kommoden-Unterteil mit drei Schubläden. Die weit überstehende Platte des Unterbaues, die Zargenornamente unten, die Profilierung, Schweifung und die durchbrochene zentrale Kartusche des Kranzgesimses sind beinahe identisch. Auch die Form und Größe der Tabernakeltüre ist vergleichbar.
Den Sekretär hat Fürst Albert von Thurn und Taxis seinem Leibarzt Dr. Reinemer (siehe Biographie Margit - Teil II) geschenkt.

Der stilistisch vergleichbare Thurn-und Taxis-Sekretär ist abgebildet in MESSEKATALOG 11. Deutsche Kunst- und Antiquitäten-Messe München 1966, München 1966, Abb. S. 128 (Firma Joseph Bierstorfer); WELTKUNST 26. Oktober 1966, Abb. S. 1056 und Heinrich KREISEL, Die Kunst des deutschen Möbels, Bd. II, S. 308, Abb. 1036.

Die Rahmung der Intarsien mit einem Band aus Wassereiche flankiert von Ahornadern zeigt auch ein für den Frankfurter Schreiner Christian Georg Klang gesicherte Kleiderschrank von 1760. Vergleichbar aufwändig gravierte Rokoko- C-Bögen findet man an einer signierten und datierten Frankfurter Schatulle, die kürzlich im Kunsthandel aufgetaucht ist: Johann Christoph Klang "a francfurt 1761". Von dem spezialisierten Intarsienkünstler sind die Lebensdaten bekannt: 1727-1770. Eine Grundlagenforschung zu Frankfurter intarsierten Möbeln fehlt bisher. Dass Klang als Graveur der Intarsien unseres Möbels herangezogen worden ist, könnte man sich gut vorstellen. Vergleichbare Qualitäten sind bei bürgerlichen Möbeln eine Rarität.

Würdigung
Das äußerst gut erhaltene Rokokomöbel zeigt Intarsienkunst von höchster Präzision in Holzauswahl und Passgenauigkeit. Die Gravuren in Schwarz und dem singulären Rot sind dank der Tatsache, dass das Möbel nie abgeschliffen worden ist, exzellent erhalten. Die seltene Patina adelt das Furniermöbel.

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