Dr. phil. Wolfgang Baumann
ANTIQUITÄTEN UND KUNSTHANDLUNG
gegr. 1909
Die schöne Mohrin - eine brillante Aktfigur des
Europäischen Rokoko.
Franz Anton Bustelli,
"1 Mohrin, ... mit einer geflochtenen Zuckerdusen“ (1760)
Zuckerdose mit
Mohrendame,
eine
frühe Ausformung aus Neudeck/München vor 1761
Auf einem Felssockel sitzt die nackte Mohrin, die nur über den linken Oberschenkel ein Tuch geschlungen hat.
Sie trägt asymmetrisch ein Federdiadem, modische tropfenförmige Ohrringe, eine Perlenkette mit Kreuz um den Hals
und um den rechten Oberarm einen Perlenarmreif. Die Aktfigur dreht sich dem großen geflochtenen Deckelkorb zu
und zeigt in verschiedenen Ansichten ihren schlanken Körper. Die Vielansichtigkeit der Porzellanfiguren ist eine
kennzeichnende Qualität für Franz Anton Bustelli. Dadurch dass die Figur unbemalt ist, kommt die Modellierung
voll zur Wirkung.
Von Bustellis Leben ist wenig bekannt. Er war als Figurenmodelleur für die neugegründete kurfürstlich
bayerische Porzellanmanufaktur Neudeck, später Nymphenburg, in München von November 1754 bis zu seinem
Tod am 18. April 1763 tätig. Die Ausbildung Bustellis, der in einer deutschen Schule das Schreiben gelernt haben muß, ist
unklar. Eine solide Bildhauerlehre ist wohl vorauszusetzen, da Bustelli die Anatomie des menschlichen Körpers und die
Sprache der Gestik perfekt beherrschte. Eine bisher vermutete Lehre bei dem Münchner Hofbildhauer Straub lehnt
Peter Volk ab. Ob Bustelli zusammen mit dem Arkanisten Ringler, der die Porzellanherstellung in München erst ermöglicht
hat, aus Wien gekommen ist ?
Die in ihrer Vielansichtigkeit brillante Aktfigur der Mohrendame zeigt Bustellis anatomisches Können und ist ein Musterbeispiel für die Erotik und den Exotismus im höfischen Rokoko.
Nach den neuesten Forschungsergebnissen ist eine Datierung bei Nymphenburger Porzellanplastiken möglich, da sich die Sockelkonstruktionen unter den verschiedenen künstlerischen Leitern der Porzellanmanufaktur geändert haben. Die Sockeltechnik und die scharfe Konturierung unserer Mohrendame verrät eine frühe Ausformung zu Lebzeiten Bustellis für Neudeck. 1802 wurden die Arbeitsformen der Nymphenburger Porzellanfiguren zerstört. „... Porzellan ist nicht weiß, sondern durchsichtig. Auf Grund seiner mikrokristallinen Struktur unterliegt es dem Phänomen der Totalreflexion. Gleich Schnee, Zucker und Salz reflektiert es nahezu 100 Prozent des einfallenden Lichtes und wirkt deshalb weiß.“ Die zu 100 Prozent das einfallende Licht reflektierenden Oberflächen zeigen Reflexe, die in einem raffinierten Kontrast zum Glasurweiß dieses monochrome Stück festlicher Tafeldekoration in der Tradition des älteren Zucker / Tragant - Tafelschmuckes beleben. Porzellanfiguren dienten dem Tafelschmuck beim Dessert und gehörten deshalb meist zum Inventar der Hofkonditoreien; nicht so diese Mohrendame Unsere Zuckerdose gehörte einst zu einem Kaffeeservice. Die exotische weiße Mohrin ist nur die attraktive Begleiterin des Korbes mit Deckel, in dem das wertvolle Importprodukt zum Süßen des Kaffees bereit stand. Kaffee als Modegetränk des 18. Jahrhunderts neben Tee und Schokolade trank man zum Frühstück alleine oder zu zweit. Am Nachmittag genoß man Kaffee in kleineren Gesellschaften; dabei goß man das in der Tasse vom absinkenden Kaffeesatz freie Heißgetränk in die Untertasse, aus der man den abgekühlten Kaffee trank. Gebäck in den Kaffee der Untertasse einzutauchen war schicklich.
Lit.:
Lothar ALTMANN, Die Figuren des F.A. Bustelli Nymphenburger Porzellan, München 1993, S. 25, Abb. S. 27.
Katharina HANTSCHMANN und Alfred Ziffer, Neue Bustelli-Figuren, in: WK 11/2004, S. 72-75.
Angela Gräfin von WALLWITZ, Idee und Ausführung. Ein Datierungssystem für Nymphenburger Porzellanfiguren
aus dem 18. Jahrhundert anhand der Sockeltypen, in: Weltkunst 15. Oktober Heft 12/2004, S. 138f.
AUSTELLUNGSKATALOG Franz Anton BUSTELLI, Nymphenburger Porzellanfiguren des Rokoko, das Gesamtwerk, München 2004,
hg. von Renate Eikelmann, Kat. Nr. 111 (dort wird unter weitere Ausformungen dieses Exemplar genannt), Tafel S. 234,